Wer hat Vorfahrt, wenn aus zwei Fahrstreifen einer wird, sich die Fahrbahn also auf einen Fahrstreifen verengt? Dies hat nunmehr der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 08.03.2022 entschieden (Az. VI ZR 47/21) und kommt zu dem Ergebnis, dass bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung niemand vorfahrtsberechtigt ist. Die beidseitige Fahrbahnverengung ist insoweit von der einseitigen Verengung zu unterscheiden, bei der das „Reißverschlussprinzip“ gilt.

Sachverhalt zum verengten Fahrstreifen

Der Sachverhalt des Urteils ist schnell erzählt:

Der dem Urteil zugrunde liegende Unfall ereignete sich im Jahr 2018 in Hamburg. Eine Pkw-Fahrerin befuhr dabei den rechten Fahrstreifen einer zweispurigen Fahrbahn. Auf dem linken Streifen war ein Lkw unterwegs. Als sich die Fahrbahn dann beidseitig verengte und dies auch durch das entsprechend Verkehrsschild (Zeichen 120 Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 und 7 Straßenverkehrsordnung) angezeigt wurde, zog der Lkw von der linken Spur kommend nach rechts und übersah den dort fahrenden Pkw. Durch die darauffolgende Kollision wurden beide Fahrzeuge beschädigt.

Die Haftpflichtversicherung des Lkw-Fahrers ging von einem Mitverschulden der Pkw-Fahrerin aus und regulierte dementsprechend 50% ihres Schadens. Daraufhin klagte die Pkw-Fahrerin auf 100%. Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht als Berufungsinstanz wiesen die Klage der Pkw-Fahrerin ab.

Revision beim BGH

Auch die Revision beim BGH sollte nicht zum Erfolg führen. Die Karlsruher Richter sind der Ansicht, dass in einer solchen Situation ein Fahrzeug, dass den rechten Fahrstreifen befährt, nicht automatisch vorfahrtsberechtigt ist. Bei der beidseitig verengten Fahrbahn gebe es keine eindeutige Vorfahrtsregelung, da beide Fahrstreifen zugleich in einen Fahrstreifen übergehen.

Das Fehlen einer eindeutigen Regelung sowie die fehlende Anwendbarkeit bestehender sonstiger Regeln (der BGH nennt hier bspw. das Reißschlussverfahren) führe dazu, dass in einer Verkehrssituation wie der vorliegenden das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) gelte. Der Lkw-Fahrer und die Pkw-Fahrerin hätten sich also abstimmen müssen.

Letztlich ist es für die Feststellung der Haftungsquote also irrelevant, wer im Falle eines Verkehrsunfalls rechts oder links gefahren ist, wenn an einer beidseitigen Engstelle aus zwei Fahrstreifen einer wird.